«Der Run auf eine Gymnasiumsempfehlung ist konstant hoch, wie auch der Wunsch, es mindestens in die Realschule zu schaffen. Die existenziellen Ängste der Eltern beziehungsweise die Sorge um eine erfolgreiche Zukunft der Kinder sind deutlich spürbar», stellt Daniel Ritter, Schulleiter der Gemeindeschulen Eschen und Nendeln fest. Beim Druck auf das Kind hänge jedoch viel davon ab, welche Unterstützung es von zu Hause aus habe und welche Erwartungen die Eltern an das Kind hätten. Dennoch, bei den meisten Übertrittsgesprächen kommt es zu einer Einigung zwischen Lehrperson und Eltern, nur bei weniger als 10 Prozent sind sich die beiden Parteien uneinig. Bei Differenzen kann der jeweilige Schüler zu einer Prüfung antreten. Diese Chance wurde jedoch im Jahr 2015 lediglich von 20 Schülern genutzt. Davon haben laut Daten vom Schulamt 6 die Prüfung bestanden.
Die Verteilung an die weiterführenden Schulen folgt weitgehend der im Jahr 2001 gesetzlich festgelegten Zuweisungsquote (28 Prozent Oberschule, 50 Prozent Realschule, 22 Prozent Gymnasium) und ist aus diesem Grund über die Jahre relativ konstant. «Wie das Jahr 2015 mit Quoten von 25 Prozent für die Oberschule, 49 Prozent für die Real-/Sekundarschule und 26 Prozent für das Gymnasium zeigt, sind Schwankungen dennoch möglich», heisst es in der gestern veröffentlichten Bildungsstatistik.
Noch nicht in den Köpfen
Rachel Guerra, Fachverantwortliche für den Bereich Pflichtschule und Kindergarten beim Schulamt, hofft, dass der Druck auf die Kinder in Zukunft nachlässt: «Ich erwarte schon, dass sich die Situation in den nächsten ein bis zwei Jahren etwas entspannen wird.» Als Grund nennt sie das im Jahr 2011 revidierte Schulgesetz, mit welchem der Übertritt ins Oberstufengymnasium neu geregelt wurde. Diese Anpassung bewähre sich in der Praxis sehr gut, weiss Guerra. Erstens würden deutlich mehr Schüler von der Realschule ins Oberstufengymnasium eintreten und zweitens hätten diese dort auch kaum Probleme. «Es braucht natürlich eine gewisse Zeit, bis diese Umstellung in den Köpfen ist», sagt Guerra. Seit drei Jahren werde aber konsequent an den jeweiligen Informationsveranstaltungen auf diese Neuerung hingewiesen. Dabei wird vermittelt: «Wenn ein Kind nicht wirklich gut in eine Schulstufe passt oder es einfach noch nicht reif ist, für den langen Weg nach Vaduz oder für ein so grosses Schulhaus, dann ist der Weg über die Realschule die bessere Option.» Schliesslich stünden nach der Realschule alle Wege offen, ob Oberstufengymnasium, Berufslehre mit oder ohne Berufsmaturität oder andere weiterführende Schulen. Dies stärke den Realschulweg zusätzlich. Aber auch die Oberschule sei aufgewertet worden, seit Schüler in Mathematik einen Abschluss auf Realschulniveau machen könnten, ist Guerra überzeugt.
Primarlehrer liegen meist richtig
Ob die Selektionsempfehlung der Primarlehrperson richtig war, das zeigt sich im späteren Verlauf der Schulkarriere der Schüler. Diese wird vom Schulamt weiterverfolgt. Im Herbst bekommen die Primarlehrpersonen jeweils eine Rückmeldung, wie sich ihre ehemaligen Schützlinge in den weiterführenden Schulen bewähren. Laut dem Rektor des Liechtensteinischen Gymnasiums, Eugen Nägele, ist dies auch meistens der Fall: «Grundsätzlich machen wir sehr gute Erfahrungen mit dem Übertritt. Wir glauben, dass die Primarlehrer eine gute Arbeit machen und die Schüler in die richtige Schule schicken. Natürlich gibt es von Primarschule zu Primarschule teilweise grosse Unterschiede. Die Kinder sind nicht immer gleich gut vorbereitet. Die Einzelfälle dürfen das positive Ganze nicht schlecht machen», erklärt er auf Anfrage. Auch mit der Durchlässigkeit mache das Gymnasium positive Erfahrungen: «Die Schüler und Schülerinnen, die zu uns kommen, sind motiviert und finden bald den Anschluss», stellt Eugen Nägele fest.
Selektion zu früh?
Ein Fragezeichen setzt Daniel Ritter punkto Selektionszeitpunkt: «Die Individualisierung und Binnendifferenzierung, die im Kindergarten und der Primarschule einen hohen Stellenwert hat, wird mit der Selektion gewissermassen gebrochen.» Schliesslich werde in der Primarschule gros-sen Wert drauf gelegt, jedem Kind so gut wie möglich gerecht zu werden. Dabei stehe auch die Stärkung der Persönlichkeit und des Selbstvertrauens im Vordergrund, sagt Ritter. Die Diskussion um eine Verschiebung des Selektionszeitpunkts sei aber seit der Volksabstimmung über SPES (Gesamtschul-Projekt) im Jahr 2009 vom Tisch, meint Rachel Guerra. Auch eine Anpassung an die Schweiz (sechs Jahre Primarschule), sei derzeit nicht geplant. Dies, obwohl es aus Sicht des Lehrplanes und auch aus Kostengründen durchaus Sinn machen könnte.
Durchlässigkeit wurde verbessert
Im Jahr 2012 sind Leistungszüge in den Realschulen angepasst worden. Der A-Zug der Realschule entspricht nun dem Niveau des Untergymnasiums. Wer also in allen Fächern, welche in Leistungszügen geführt werden, den A-Zug besucht und eine Durchschnittsnote von einer 4.0 erreicht, kann nach der 3. oder 4. Klasse Realschule prüfungsfrei ins Gymnasium wechseln. Vorausgesetzt ist jedoch eine Empfehlung der Klassenkonferenz. Vor 2012 war es so, dass Schüler des Untergymnasiums mit einem Promotionsschnitt von 4,0 ins Oberstufengymnasium eintreten konnten. Realschüler hingegen benötigten einen Notenschnitt von 5,0, um prüfungsfrei ins Oberstufengymnasium wechseln zu können. «Die Messlatte war damals nicht gleich hoch», erklärt Rachel Guerra.
Volksblatt, 17.03.2016