Die Lohnschere beginnt in der Lehre

Mit dem Schulbeginn hat für die meisten der über 5500 St.Galler Lehrlinge das Berufsleben begonnen. 5593 Lehrverträge mit Lehrbeginn Sommer wurden im Kanton per 31. Juli abgeschlossen, einige dürften im August noch dazugekommen sein. Offene Lehrstellen gibt es aufgrund der rückläufigen Schülerzahlen noch immer mehr als genug: Aktuell sind über 1438 St.Galler Lehrstellen frei, aufgelistet auf der Seite www.berufsberatung.ch, wobei diese ihre Daten in der Zwischenzeit bereits auf den Lehrbeginn 2020 umgestellt hat.

 

Der Lehrbeginn betrifft weitaus die meisten St.Galler Jugendlichen: Gemäss Umfrage des Amts für Berufsbildung treten fast drei Viertel aller Schulabgänger eine Berufslehre an, die nach zwei Jahren mit dem Attest (EBA) und nach drei oder vier Jahren mit dem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) abgeschlossen wird. Anders als ihre Schulkollegen, die eine weiterführende Schule besuchen (9 Prozent) oder eine Zwischenlösung bevorzugen (12 Prozent), startet für die Lehrlinge nun ein Leben mit monatlicher Entlöhnung.

 

Erstaunlicherweise beginnen beim Lohn bereits die Unterschiede: Schon der Monatslohn im ersten Jahr kann im Extremfall über 1000 Franken variieren. So beginnt ein Printmedientechniker Werbetechnik mit dem Tiefstlohn von 250 Franken, derweil am andern der Skala ein Grundbauer  der Arbeiter, der den Boden für Bauten verfestigt  bereits im ersten Jahr 1300 Franken verdient. Diese Spitzenplätze bleiben bis zum Ende der Lehre: Besagter Printmedientechniker erhält nach zwei Jahren (EBA) gerade einmal 350 Franken, der Grundbauer hingegen als einziger Lehrling im Kanton über 2000, nämlich 2100 Franken. Die beiden Lohnextremfälle sind auch sonst Ausnahmen: In beiden Berufen gibt es im Kanton lediglich einen einzigen Lehrling.

 

Die Statistik der Lehrlöhne, die das Amt für Berufsbildung führt, zeigt allerdings markante Lohnunterschiede auch in den beliebtesten Berufen. So verdienen die 327 Fachpersonen Gesundheit im ersten Lehrjahr 691 Franken, derweil die 88 angehenden Köchinnen und Köche mit 1023 Franken beginnen. Im dritten und letzten Lehr- jahr beträgt der Unterschied immer noch über 300 Franken: Im Gesundheitsberuf sind es 1222, in der Küche 1539 Franken. Während die weiteren gängigen Berufe wie Kaufmann verschiedener Richtungen, Elektroinstallateur oder Logistiker sich in der Bandbreite um 600 bis 700 Franken zum Anfang und 1000 bis 1300 Franken zum Ende bewegen, fallen die Löhne der 79 Coiffeusen und Coiffeure deutlich ab: Mit 386 im ersten und 597 Franken im dritten (letzten) Lehrjahr sind sie die mit Abstand am schlechtesten bezahlten Lehrlinge im Vergleich der zwanzig beliebtesten Berufe.

 

Die Lohnschere ist keineswegs eine St.Galler Spezialität, sondern betrifft mit regionalen Ausprägungen die ähnlichen Berufe in der ganzen Schweiz. Und sie gilt auch für die internationale Nachbarschaft: So verdient eine Friseuse im ersten Ausbildungsjahr in Ba- den-Württemberg 510 Euro, halb so viel wie der Spitzenreiter Industriekaufmann, der monatlich 1037 Euro erhält.

Ein Hauptgrund für die Lohndifferenzen lautet ebenfalls grenzüberschreitend gleich: Lernende in der Coiffeurbranche absolvieren eine zeitintensive Ausbildung und können erst am Ende der Lehrzeit voll eingesetzt werden, während etwa die oft gutbezahlten Lehrlinge im Bau schon nach kurzer Zeit wichtige und fast vollwertige Mitarbeiter in ihren Firmen sind. Welche Rolle aber spielt der Lohn für die Berufswahl eines «Stiftes»? Fast keine, wie die Vertreter der Berufsbildung und des Gewerbes sagen. Wichtiger seien die späteren Aussichten im Beruf, wie gute Anschlusslösungen, eine sichere Stelle und die Lohnentwicklung, meint Markus Sieger, «Bildungschef» beim St.Galler Gewerbeverband. Sabine Reinecke, Leiterin Zentralstelle für Berufsberatung, bestätigt dies: «Der Lehrlingslohn spielt eine Rolle, aber nicht die ausschlaggebende. Wenn, dann geht es eher um den Einstiegslohn nach der Ausbildung.» Massgeblicher seien der Beruf und der Lehrbetrieb, sprich erreicht worden «wie die Lernenden aufgenommen, betreut und unterstützt werden». Eine kleine Umfrage im Bekanntenkreis belegt diese Aussagen: Väter und Mütter erklären einhellig, dass das Geld bei der Berufswahl völlig nebensächlich war, jedenfalls in der Lehre. «Der Lohn war bei unserer Tochter kein Thema, entscheidend waren die guten Erfahrungen beim Schnuppern», sagt ein Vater.

Zum Lehrbeginn 2019 sind denn auch nicht die Lehrlingslohnunterschiede, sondern weiterhin die unbesetzten Lehrstellen das meistdiskutierte Thema. Aufgrund der niedrigen Schülerzahlen müssen sich in der Ostschweiz wie anderswo fast alle Branchen «stärker um den Nachwuchs kümmern», meint Sabine Reinecke. «Es gibt Berufe, die es etwas schwerer haben, wegen unregelmässiger Arbeitszeiten, härterer körperlicher Arbeit, Schmutz, Lärm oder ähnlichem.» Branchen benennen aber will man auf dem Amt nicht, weil das nur das Image verhärte: «Jeder Beruf hat seine Sonnen- und Schattenseiten.» Bekannt in der Region ist das Problem in der Metzgerbranche: Noch vor einem Monat bangte der Fachlehrer der Fleischfachleute am Toggenburger Berufs- und Weiterbildungszentrum, ob seine Klasse überhaupt gebildet werden kann. Nun ist die Zahl von 25 Fleischfachfrauen oder Fleischfachmännern, die für die beiden Klassen in Wattwil und Rorschach nötig sind, doch noch erreicht worden mit 11 respektive 14 Berufsschülern.

 

Für den Lehranfang ist es nicht zu spät: Wer jetzt noch keine Lehrstelle hat, sollte sich nach wie vor bemühen. Die meisten Betriebe zeigten sich im Fall verspäteter Entscheide kulant, wissen die Bildungsfachleute. «Im August und September ist noch nichts verloren.» Wer sucht, hat gute Chancen: Wie gesagt sind 1438 Lehrstellen frei, merklich mehr als zum gleichen Zeitpunkt in den Vorjahren 2018 (1355) und 2017 (1328). Hilfreich für Lehr- oder andere Anschlusslösungen nach Abschluss der Schule ist auch die Ostschweizer Bildungsausstellung (OBA), die am letzten Augustwochenende stattfindet.