Wie könnte man das Bildungssystem Liechtensteins weiterbringen? Mit dieser Frage hat sich der Verein für Bildungsvielfalt (VBV) beschäftigt. Anlässlich eines Informationsanlasses stellte der Verein gestern ein Projekt vor, das in Kooperation mit der Georg-Chirstoph-Lichtenberg-Gesamtschule (igs) in Göttingen, der Wirtschaftskammer Vorarlberg sowie den Mittelschulen Hard und Wolfurt entstanden ist. Ein Lernkonzept, das sich wesentlich vom herkömmlichen Lernsystem unterscheidet. Denn die Kinder sollen nicht nach Schulnoten bewertet werden, sondern sie sollen Lernerlebnisse sammeln, ihre Stärken entdecken und fördern können. Lehrpersonen, Vertreter der Wirtschaft und Politik hatten sichgestern im SAL in Schaan eingefunden. Unter ihnen auch Erbprinz Alois und Bildungsministerin Aurelia Frick.
Lernen in Tischgruppen mit Eigenverantwortung
«Die Schule soll ein Lern- und Lebensraum sein. Nur wo wir uns gerne aufhalten, lernen wir auch gut», sagte Wolfgang Vogelsaenger, Schuldirektor der igs, in seinem Referat. Er stellte den Zuhörern seine Schule in Göttingen und ihre Philosophie vor.
Eine 40-jährige Erfolgsgeschichte, wie er sagte. Die Trennungen der klassischen Schulformen wurden aufgehoben. So könne jedes Kind seine eigenen Leistungs- und Interessensschwerpunkte entwickeln und erhält nach der 9. oder 10. Klasse den Abschluss, der seinen Leistungen und Fähigkeiten entspricht. «Jedes Kind soll in seiner eigenen Lernentwicklung begleitet werden, damit keines verloren geht das ist unser Ziel», so Voglsaenger. Der Erfolg wird dadurch unterstrichen, dass in Göttingen 70 Prozent ins Gymnasium übertreten. 2011 wurde die igs ausserdem mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Das Konzept basiert auf heterogenem Arbeiten und Lernen. Jeder Jahrgang befindet sich in einem eigenen Lernund Lebensbereich – das sogenannte Cluster – mit sechs Klassenräumen, einem Teamraum für die Lehrpersonen, einem PCRaum und Flächen für Gruppenarbeiten, Pausen, Aufführungen und Ausstellungen. Alle Schüler bleiben vom 5. bis zum 10. Jahrgang zusammen. Innerhalb der Stammgruppen bilden jeweils vier bis sechs Schüler ein Arbeitsteam- die sogenannte Tischgruppe. Auf dieser Tischgruppe basiert das Konzept der igs. Gruppenarbeit statt Frontalunterricht ist die Devise. Zusammen sollen die Schüler Aufgaben lösen, die ihnen gestellt werden. Dabei kann jeder seine Stärke einbringen und sie können sich untereinander helfen. Nachsitzen gibt es nicht. «Später im Berufsleben gehen diese Kinder Aufgaben ganz anders an», sagte der Schuldirektor.
Auch die Lehrpersonen arbeiten untereinander in Tischgruppen. Sie sollen als Vorbild für die Schüler gelten. «Es ist die Haltung, die eine Schule ausmacht», so Vogelsaenger. Die Lehrpersonen arbeiten nach einem flexiblen Lehrplan. Sie können untereinander Stunden abtauschen und so die Kinder dort fördern, wo sie es brauchen. Und die wichtigste Regel der Schule: Die Schüler dürfen keine Angst haben- weder vor der Schule noch vor den Lehrern, den Eltern oder Zensuren. Das Lernen soll Spass machen.
Das Konzept aus Göttingen macht nun auch in Vorarlberg Schule. Christian Grabher, Direk- tor der Mittelschule Hard-Markt in Hard, stellte gestern die geplante neue «Schule am See» vor. Schon länger will die Mittelschule neue Wege gehen. Unter anderem auch durchden Druck der Eltern, die von der Montessori-Pädagogik begeistert waren. 2013 ergab sich die Möglichkeit, die igs in Göttingen zu besichtigen. Die Begeisterung war gross. Die Teamstruktur soll auch in Hard eingeführt werden. Ein Teil des Konzeptes konnte bereits umgesetzt werden. «Eine Evaluation zeigt, dass sowohl Schüler, Lehrpersonen als auch Eltern sehr zufrieden sind», sagte Grabher. Die Anmeldezahl an der Schule sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Von 196 auf 295 Schüler. Natürlich sei nicht alles reibungslos gelaufen. «Schulentwicklung braucht Zeit», betonte er.
Auch in Liechtenstein möglich?
«Wir sehen, eine Änderung in unseren Schulen ist möglich und zwar ohne grosse Gesetzesänderungen», sagte Markus Becker, Präsident des VBV, im Anschluss. Der Verein lädt alle interessierten Lehrpersonen nach Göttingen ein, um sich ein Bild von dem Konzept zu machen. «Es soll eine Inspiration sein, so ein Projekt auch in Liechtenstein zu starten.»