Wie führt eine angehende Kauffrau eines Reisebüros, ein Beratungsgespräch? Hinter einer Plexiglasscheibe? Muss ein Kochlehrling das zubereitete Menü seinen Experten etwa mit einer Atemschutzmaske und Handschuhen servieren? Und wie bitteschön soll eine Friseurin bei ihrer Abschlussprüfung Abstand zu ihrem Kunden halten? Alles Fragen, die sich in den vergangenen Wochen wohl so mancher Lehrling und Ausbildner gestellt hat. Ähnlich mag es den Schweizer Berufs- und Gewerbeverbänden ergangen sein. Diese mussten nämlich im Eiltempo eine Antwort auf all diese Fragen finden, denn die Termine für die Lehrabschlussprüfungen (LAP) rückten mit jedem Tag einen Schritt näher. Vor Kurzem wurde bekannt, dass es keine schriftliche, sondern nur praktische Prüfungen geben wird.
An eine LAP nach «traditionellem» Verfahren werden diese Prüfungen nur wenig erinnern. Besammlungen, Einführungen in die Prüfungsaufgabe oder auch den Austausch in der Mittagspause wird es in diesem Sinne nicht geben: «Die Schutz- und Hygienemassnahmen müssen während der Prüfung strikt eingehalten werden», sagt Werner Kranz vom Amt für Berufsbildung und Berufsberatung (ABB) auf Anfrage. In den vergangenen Wochen mussten die Berufs- und Gewerbeverbände ihre Konzepte ausarbeiten und beim Bund einreichen. Dieser musste die Konzepte anschliessend genehmigen. «Die Prüfungsorganisation musste dem Bund klar aufzeigen können, dass sie alle vorgeschriebenen Massnahmen einhalten», erklärt Kranz. Seit Ende April steht nun fest, wie die LAPs in den verschiedenen Berufsrichtungen aussehen werden. Und da Liechtenstein den Schweizer Prüfungsorganisationen untersteht, betreffen diese Massnahmen auch die Lehrlinge aus dem Fürstentum.
Die diesjährigen LAPs verlaufen nach drei verschiedenen Mustern: Bei der ersten Variante führt der Lehrbetrieb entweder eine individuelle oder vorgegebene praktische Arbeit (IPA/VPA) durch. Diese Arbeiten gehören ohnehin zum «gewöhnlichen» Qualifikationsverfahren. Bei LAPs, die sich an der zweiten Variante orientieren, findet eine zentrale VPA statt. Das heisst, dass ein Lehrling seine praktische Prüfung in offiziellen Räumlichkeiten der Prüfungsorganisation absolviert. Zu guter Letzt gibt es noch Variante Nummer 3: Betriebe können die Kompetenz und Leistung des Lehrlings anhand eines Bewertungsrasters beurteilen. Dieses Raster ist schweizweit vereinheitlicht. Diese Variante erlaubt auch noch eine zweite Vorgehensweise: Lehrbetriebe können nämlich – sofern vorhanden – auch Bewertungen oder Noten von überbetrieblichen Kursen (ÜK) in die Beurteilung einfliessen lassen.
Wie kann man sich den Prüfungsablauf nun konkret vorstellen? Zwar gelten in allen Berufen unterschiedliche Vorschriften, aber ein Blick auf die LAP verschiedener Elektroberufe (Varianten 1 und 2) zeigt, wie drastisch diese teils sein können: Aus dem Konzept des Verbands der Thurgauer Elektroinstallationsfirmen geht hervor, dass die Lehrlinge bei ihrer Ankunft im Schulhaus zum Prüfungsraum geleitet werden. Nicht etwa durch eine Person, sondern durch einen Infozettel. Vor dem Prüfungsraum müssen die Lehrlinge erst einmal warten – natürlich im Abstand von zwei bis drei Metern. Entsprechende Bodenmarkierungen würden darauf aufmerksam machen. Selbst die Begrüssung und die Einführung darf nicht im Plenum stattfinden: Hierfür teile die Prüfungskommission die Kandidaten in drei Gruppen auf, die dann alle zur selben Zeit in drei verschiedenen Räumen ihre Instruktionen erhalten. Das soll verhindern, dass sich mehr als fünf Personen gleichzeitig in einem Raum befinden.
Selbst während der Prüfung müssen die Kandidaten Abstand und Hygienemassnahmen einhalten. So müssen die Lehrlinge stets ihre Hände desinfizieren, bevor sie den Raum betreten oder verlassen. Das bedeutet aber nicht, dass sie ausserhalb der Prüfungsräume von diesen Massnahmen entbunden sind – im Gegenteil – denn auch für die Mittagspause gibt es strikte Vorschriften: Sich während der Mahlzeit mit seinem Gegenüber auszutauschen ist nicht möglich, zumal es kein Gegenüber geben wird. Die Kandidaten müssen ihr Mittagessen nämlich an einem Einzeltisch einnehmen.
Alleine «speisen» müssen auch die Experten der Kochlehrlinge: In den Präsentations- und Degustationsräumen sitzt jeder an einem separaten Tisch. So schreibt es der Verband «Hotel & Gastro Formation» vor. Die «Testmahlzeiten» erhalten die Experten vom Lehrling, der während der ganzen LAP einen Mundschutz tragen wird. Für Küchen gelten nämlich noch härtere Hygienemassnahmen als bei anderen Berufen. Die Arbeitsflächen würden nach jedem Prüfungsdurchgang desinfiziert. Des Weiteren dürfen sich Kandidaten, Experten sowie der technische und rückwertige Dienst lediglich in vorgegebenen Bereichen der Küche aufhalten und bewegen.
Es steht damit ausser Frage, dass sich die LAPs dieses Jahrgangs mit keinem anderen zuvor dagewesenen Szenario vergleichen lassen werden.