Die jungen Lernenden sind unsere Zukunft, sei es für unsere Unternehmen oder für unsere Gesellschaft. Der duale Bildungsweg, also die Ausbildung in Betrieb und Berufsschule, eröffnet sehr gute Berufsaussichten für unsere Jugend. Kritiker sehen diesen Weg gerne als Bildung zweiter Klasse, doch damit liegen sie falsch. Denn reines Wissen aus der Schulstube kann die praktischen Berufsqualifikationen nicht einfach ersetzen. Entscheidet sich ein Unternehmen für diese Ausbildungsmöglichkeit, wird eine vollumfängliche Förderung des Lernenden vorausgesetzt, welche finanziell und zeitlich entsprechend hoch ausfallen kann. Aus diesem Grund entscheiden sich wahrscheinlich viele Klein- und Mittelunternehmen (KMU) gegen einen Lernenden im eigenen Betrieb, weil das Know-how oder einfach die Zeit für die Betreuung fehlt. Mit der jungen Organisation „100pro! berufsbildung liechtenstein“ von der Liechtensteiner Wirtschaftskammer wird diesen KMUs entgegengekommen. Sie übernehmen entweder das Coaching des Lernenden oder es kann eine Verbundlehre eingegangen werden, indem man sich als KMU mit einem anderen Unternehmen zusammenschliesst. Der oder die Lernende ist dabei bei der Wirtschaftskammer Liechtenstein angestellt und absolviert die fachliche Ausbildung bei den beteiligten dualen Lehrbetrieben. Der Lehrvertrag wird zwischen der Wirtschaftskammer und dem Lernenden abgeschlossen, die Rahmenbedingungen zwischen den Unternehmen und der Wirtschaftskammer definiert.
Tanja Kressig war die erste Lernende Kauffrau der Gemeinde Ruggell, welche eine Verbundlehre antrat. Als Partner konnte die Gemeinde Schellenberg gefunden werden, welche bis dahin keine Möglichkeit sah, eine Lehrstelle alleine überhaupt anzubieten. Begleitet wurde diese Verbundlehre von 100pro! berufsbildung liechtenstein. Nach ihrem sehr erfolgreichen Abschluss im Sommer 2015 sagt Tanja heute dazu: „Während der Lehrzeit habe ich abwechslungsweise in den Gemeindeverwaltungen Ruggell und Schellenberg gearbeitet. Die Ausbildung war äusserst spannend und sehr abwechslungsreich. Ich durfte vielseitige Erfahrungen sammeln und lernte, dass gute Kommunikation das wichtigste Werkzeug einer Kauffrau ist. Allein schon die Kommunikation zwischen den Gemeinden Ruggell und Schellenberg, mit „100pro!“ und allen Mitarbeitenden war anfänglich eine grosse Herausforderung – aber ich habe diese Lektion schnell gelernt.
Die Verbundausbildung hatte den Vorteil, dass ich als Lernende gleichzeitig mehrere Betriebe, Unternehmenskulturen und Arbeitsweisen kennenlernen durfte und so ein breitgefächertes Wissen mitnehmen konnte. Für mich waren diese drei Jahre nicht nur eine berufliche Neuorientierung sondern auch eine persönliche Weiterentwicklung. In beiden Verwaltungen habe ich sehr viel gelernt und erlebt. Heute kann ich mit Freude sagen, dass mir von der Reinigungskraft bis zum Vorsteher alle etwas mit auf den Weg gegeben haben.“
Seit August 2015 arbeitet Natascha Morrone aus Ruggell als Lernende Kauffrau in der Verbundlehre der Gemeinden Schellenberg und Ruggell. Im Wintersemester (August bis Januar) in der Gemeindeverwaltung Ruggell, erlebte sie ihren Einstieg als sehr abwechslungsreich und intensiv. Die Gewöhnung an den Wochenrhythmus – drei Tage in der Verwaltung und zwei Tage in der Schule – erfolgte jedoch rasch: „Anfangs war es eine echte Umstellung von dem „gemütlichen“ Schülerleben in das anstrengende Erwachsenenleben zu wechseln. Doch trotz dieser Herausforderung fühlte ich mich schon gleich sehr gut aufgehoben in der Gemeinde Ruggell. Auch wenn ich erst seit drei Monaten hier bin, habe ich schon sehr viel gelernt. Ich freue mich schon auf die weiteren drei Jahre in der Verbundlehre und bin gespannt auf meinen Wechsel im Februar 2016 in die Gemeinde Schellenberg.“
Ein Jahr zuvor, im August 2014, startete Maximilian Hasler als Lernender Kaufmann „nur“ in der Gemeindeverwaltung Ruggell. In seinem Fall läuft das Coaching über die Organisation 100pro! berufsbildung liechtenstein. Neben Betreuungsgespräch ist für ihn die Hausaufgabenhilfe HALO von 100pro! berufsbildung liechtenstein als professionelle Unterstützung für seine Lehre wichtig. Dieses Coaching erhalten bei der Gemeinde Ruggell auch Pascal Wohlwend, der als Lernender Fachmann Betriebsunterhalt FZ, Fachrichtung Hausdienst tätig ist sowie Marco Lenherr als Lernender Unterhaltspraktiker EBA beim Werkhof. Pascal Wohlwend befindet sich zurzeit im dritten und letzten Lehrjahr und ist überzeugt, dass er vor allem von der Hausaufgabenhilfe profitieren konnte: „Zuerst brauchte es grosse Überwindung, regelmässig die Hausaufgabenhilfe am gleichen Wochentag zu besuchen. Jedoch für die Repetition und das Lernen vor grossen Prüfungen waren diese zwei Stunden ideal, da man sich zu Hause sehr leicht ablenken liess. Ab einem gewissen Notenschnitt wurden die Kosten für diese Unterstützung vom Lehrbetrieb übernommen, was für mich als zusätzlicher Anreiz diente, diesen Schnitt auch zu erreichen und zu behalten. So konnte ich mich stets verbessern. Für berufsspezifische Sachthemen brauchte ich jedoch schon jeweils auch die volle Unterstützung meiner Vorgesetzten im Betrieb.“ Auch wenn das Coaching bezüglich Betreuung und schulische Unterstützung in diesen Fällen extern ausgelagert werden kann, bleibt der Lernende ein wichtiger Bestandteil des Unternehmens. Gemeinsames Lernen, berufliche Unterstützung und auch ein offenes Ohr für private Anliegen gehören hier selbstverständlich dazu. Ist der Unternehmer in bestimmten Situationen überfragt, steht man trotzdem nicht alleine da. In Ruggell nutzt nicht nur die Gemeindeverwaltung diese Vorteile, sondern auch Firmen und Unternehmen wie die BUNTAG AG, BWV, Liechtenstein Life, CNC Mechanik, Prisma Life und die Wohlwend AG. Und wenn Lernende nicht nur mit Wissen überzeugen, sondern auch mit ihrem Geschick indem sie vor allem in handwerklichen Lehrberufen ausserordentliche Leistungen zeigen, dann ist eine Teilnahme bei den WorldSkills möglich …
Schlussendlich müssen Unternehmen motiviert werden, in die heutige Jugend zu investieren, um die zukünftigen Fachkräfte zu fördern. Auf der anderen Seite werden für dieses Unterfangen aber auch potenzielle jugendliche Lernende benötigt, die sich bewusst für die duale Berufsbildung entscheiden. Unser Bildungswesen ist in den vergangenen Jahren sehr bunt und vielfältig geworden, es gibt längst nicht mehr nur den einen Weg zum Ziel. Viele Jugendliche tendieren heute eher zur Matura oder zur Berufsmatura mit anschliessender akademischer Ausbildung. Ein erfolgreiches Studium ist heute bekanntlich aber auch kein Garant mehr für einen einfachen Berufseinstieg bzw. eine erfolgreiche Karriere. Ein guter Mix sowie die Begleitung der Jugendlichen in ihrer gesamten Bildungslaufbahn, egal welcher Weg eingeschlagen wird, sind gemäss Bildungsministerin Aurelia Frick viel wichtiger. Schlussendlich ist die Ministerin überzeugt, dass Liechtenstein ohne die duale Berufsbildung kaum das höchstindustrialisierte Land der Welt sein könnte.
Christian Öhri, Gemeindekanzlei
Nordwind, Ruggell