Eine zunehmende Digitalisierung, die fehlende Attraktivität Liechtensteins, falsche Wertvorstellungen einzelner Berufe sowie die Durchlässigkeit des Weiterbildungssystems und der demografische Wandel haben in den vergangenen Jahren vor allem eines hervorgerufen: Den Fachkräftemangel in Liechtenstein, der sich in der heutigen Zeit besonders präsent zeigt.
Dass dieser Mangel auch in vielen weiteren Staaten Westeuropas allgegenwärtig ist, birgt für Liechtenstein eine weitere Herausforderung. Denn der Kleinstaat ist auf Grenzgänger und ausländische Arbeitskräfte tagtäglich angewiesen.
Branchen haben Mühe, Arbeitskräfte zu finden
«Im Moment haben wir den grössten Bedarf im Bauhauptund Nebengewerbe», sagt Jürgen Nigg, Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Liechtenstein. Kompetente Arbeitskräfte sind somit vor allem in den Bereichen des Hoch- und Tiefbaus, Elektro und Sanitär, wie auch im Beruf des Fliesenlegers und bei den Gebäudereinigern gefragt. «Neben den klassischen Berufen finden wir aber auch immer weniger gut ausgebildete Jugendliche in allen Mint-Bereichen», so Nigg. «Mint» steht hierbei als Abkür- zung für Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurswissenschaft sowie Technik. Wie Brigitte Haas, stellvertretende Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Industrie- und Handelskammer (LIHK), bestätigt, seien aus ihrer Sicht vor allem Ingenieursberufe und jene der Informatik schwierig zu besetzen. «Aus diesem Grund ist uns unser Experimentierlabor wieder wichtiger geworden, um Jugendliche für diese Berufsfelder begeistern zu können», erklärt Haas weiter.
Nachdem die LIHK feststellte, dass das Experimentierlabor an den Schulen zu wenig zur Kenntnis genommen wurde, rückte es wieder vermehrt in den Fokus. «Diese Investition zahlt sich allmählich aus. Ein Trend in Richtung der Mint-Berufe lässt sich klar feststellen. Bis dieser in Bezug auf den Fachkräftemangel aber greifen kann, müssen wir uns noch eine Weile gedulden», so die stellvertretende Geschäftsführerin der LIHK.
Frauenmangel allmählich behoben
In den vom Fachkräftemangel am stärksten betroffenen Branchen lag für lange Zeit auch ein Mangel an Frauen vor. «Mittlerweile sehen wir Frauen aber in praktisch allen Branchen», sagt Nigg. Laut Haas könnten es aber durchaus noch mehr sein. Hierfür müsse jedoch ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden: «Die typischen Männer- und Frauenberufe sollte es in unseren Köpfen gar nicht erst geben», verdeutlicht die Expertin.
Ein weiteres Problem in Bezug auf den Frauenmangel in gewissen Branchen sieht die Wirtschaftskammer in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. «Wir müssen daher Konzepte entwickeln, um das zum Teil brachliegende Potenzial von bestausgebildeten Frauen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern», ergänzt der Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Liechtenstein.
Weiterbildungen sind gefragt
Um diesem Fachkräftemangel wirkungsvoll entgegentreten zu können, sind sich LIHK und Wirtschaftskammer einig, dass in Ausund Weiterbildungen investiert werden muss. «Bestehende Mitarbeiter müssen motiviert werden, sich ständig weiterzubilden und auch offen für neue Technologien sein. Dies gilt auch für die Jugendlichen, die sich noch in der Ausbildung befinden», sagt Nigg. Aber auch die Arbeitgeber sollten bereit sein, dies aktiv zu fördern und teilweise auch zu finanzieren. Ausserdem soll die Gesellschaft fit gemacht werden, um auf die Digitalisierung und die damit verbundenen Weiterbildungsmöglichkeiten vorbereitet zu sein. «Denn immer mehr sind gut ausgebildete Fachkräfte gefragt, da auch die Ansprüche in der Berufswelt stetig steigen», so Haas.
In der nahen Zukunft wird die Situation weiterhin schwierig bleiben, sind sich beide Experten einig. Einerseits läge das daran, dass die geburtenschwachen Jahrgänge erst jetzt in der Wirtschaft spürbar werden, verdeutlicht der Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Liechtenstein. Andererseits können als weiteres Zeichen für die eher nüchterne Zukunftsprognose die Grenzgänger angesehen werden, ohne die der steigende Bedarf an Fachkräften sowie der wachsenden Beschäftigungszahlen in Liechtenstein nicht gedeckt werden können. «Diesem Trend ist entgegenzuhalten, weil wir damit Wertschöpfung und Kaufkraft ins Ausland exportieren», erklärt Nigg.
In Bezug auf ausländische Arbeitskräfte ergibt sich zudem die Problematik, dass die meisten westeuropäischen Staaten mit demselben Fachkräftemangel konfrontiert sind. «Somit bräuchte Liechtenstein zusätzliche Anreize und müsste schlagkräftige Vorteile vorlegen, um ausländisches Fachpersonal für unser Land gewinnen zu können», so Haas abschliessend.