Herr Ritter, sollten Sie im Mai gewählt werden, was werden Sie als Erstes tun – alles wieder aufheben, was Ihr Vorgänger geschafft hat?
Keinesfalls! Arnold Matt hat während seiner fast 17-jährigen Amtszeit hervorragende Arbeit geleistet. So zeigte er sich gemeinsam mit den anderen Wirtschaftskammermitarbeitern bei verschiedenen Themen sehr engagiert und blieb bis zum Schluss dran – etwa bei der Schaffung der «gleich langen
Spiesse» im Gewerbe, die ein ewig andauernder K(r)ampf war. Zudem hat er den «grossen Lupf» von der GWK zur Wirtschaftskammer vollbracht und damit die Strukturen der Kammer gesichert.
Dabei wurde auch die Pf lichtmitgliedschaft aufgelöst. Heute ist solche ja freiwillig. Da muss man künftig natürlich weiter was bieten …
Früher hatten wir rund 2000 Mitglieder, heute ist diese Zahl auf unter 1000 gesunken. Die Gewinnung von Neumitgliedern ist natürlich immer Thema. Deswegen gilt, auch weiterhin gute Dienstleistungen anzubieten und wenn möglich auszubauen – wie etwa heute bereits die Rechtsberatung oder das günstige Kollektiv-Krankenkassenprämien- und Weiterbildungskursangebot (Kurse.li) für Kammermitglieder. Wichtig zu erwähnen ist aber auch das Lehrlingsprogramm «100pro!», das gerade durch das Abgeben der administrativen Arbeiten oder die Verbundausbildung für kleinere Firmen interessant ist. Wir wollen zu-dem gewisse Prozesse innerhalb der Wirtschaftskammer verschlanken.
Welche grossen Aufgaben kommen noch auf den neuen Wirtschaftskammerpräsidenten zu?
Da mit dem Rücktritt von Arnold Matt auch die vor zehn Jahren aufgestellte Strategie «Futuro» der Wirtschaftskammer ein Ende findet, muss die Hauptaufgabe sein, einen neuen Fahrplan aufzustellen. Dies wird in Zusammenarbeit mit der Stiftung Zukunft.li. passieren. Die Ziele: Den Standortvorteil der heimischen Wirtschaft beizubehalten und auszubauen sowie Regulierungen zu reduzieren. Im Klartext: Was es an Bürokratie nicht zwingend braucht, muss verhindert werden – gerade als kleines Land ist dies sehr wichtig. Und natürlich hat die Wirtschaftskammerführung auch immer ein offenes Ohr für akute Probleme unserer «Gwerbler».
Was beschäftigt das Gewerbe heutzutage am meisten?
Ganz klar die Frankenstärke und der daraus resultierende Einkaufstourismus. Hier geht in Liechtenstein Wertschöpfung in Millionenhöhe verloren – nicht nur für Unternehmen, sondern auch für den Staat über die Steuern. Den Leuten muss einfach bewusst gemacht werden, was es heisst, wenn man jede Woche nach Vorarlberg zum Einkaufen fährt. Ich kann zwar durchaus nachvollziehen, dass solche, die nicht so viel Geld im Portemonnaie haben, billiger in der Grenzregion einkaufen müssen. Man sollte sich aber trotzdem überlegen, ob sich jede Fahrt ins Ausland auch lohnt. Bei anderen, die weniger in Not sind, verstehe ich das dagegen gar nicht. Da kenne ich übrigens einige Beispiele.
Von der Wirtschaftskammer vorgebrachte Lösungen wie Einkaufsgutscheine für Staatsangestellte kamen aber nicht wirklich gut an …
Das war natürlich mehr als Provokation gedacht. Das Ziel, eine Diskussion zum Thema anzuregen, wurde sicherlich erreicht. Meiner Meinung nach ist diese Lösung aber nicht ganz so abwegig – da Staatsangestellte ja durch unsere Steuern finanziert werden.
Und was halten Sie von einer Anpassung des Freibetrages bei der Mehrwertsteuer?
Da könnte man auf jeden Fall etwas machen. Neben der Frankenstärke ist dies ein wichtiger Grund, warum Liechtensteiner in Österreich einkaufen – weil man zusätzlich noch die Mehrwertsteuer zurückholen kann. Da wäre ich knallhart! Es gilt ernsthaft zu prüfen, ob etwa weiterhin Waren bis zu einem Gesamtwert von 300 Franken mehrwertsteuerfrei eingeführt werden dürfen. Hier umzudenken, empfinde ich als einen relativ einfachen Weg – weil die heutige Situation auch gegenüber den Österreichern nicht fair ist: Diese bezahlen momentan im eigenen Land nämlich mehr als solche, die von ausserhalb kommen.
Was sind die Folgen, wenn der Einkaufstourismus anhält oder sogar noch wächst?
Schlussendlich gehen damit unsere Betriebe ein – mit der Folge, dass auch das Lehrstellenangebot leidet. Wo bilden wir dann unsere Kinder aus? Wollen Sie diese etwa nach Feldkirch in die Lehre schicken? Das darf natürlich nicht passieren.
Bildung ist in Ländern ohne eigene Rohstoffe ganz besonders wichtig. Sie waren ja viele Jahre als Ausbildner und Lehrlingsobmann des Autogewerbes aktiv – sehen Sie es auch so?
Bildung ist natürlich ganz klar unsere Trumpf karte – gerade auch mit Blick auf das duale Bildungssystem (Berufsschulunterricht und übergeordnete Kurse sowie Praxis im Betrieb), das meines Erachtens eines der besten Systeme zur Förderung von jungen Menschen ist. Mich stört aber, dass das gute alte Handwerk bei jungen Leuten nicht mehr so einen guten Ruf hat, wie etwa eine KV-Lehre. Das müsste sich meiner Meinung ändern. Bei der Berufswahl spielen die Eltern und Lehrer eine entscheidende Rolle. Darum müssen auch sie über die handwerklichen Berufe besser informiert sein. Das Sprichwort «Handwerk hat goldenen Boden» kommt nicht von ungefähr.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist momentan auch ein grosses Thema – die Wirtschaftskammer mit ihrer Initiative aber grandios gescheitert …
Auch hier gilt: Das Thema wurde angesprochen und eine breite öffentliche Diskussion in Gang gesetzt. Zwei Arbeitsgruppen mit Vertretern der Wirtschaftskammer, die von der Regierung beauftragt wurden, nehmen sich zurzeit der Sache an.
Und wie stehen Sie dazu?
Meiner Meinung sind hier Lösungen gefragt, die für alle gerecht sind: Es sollen nicht nur Kitas gefördert werden, sondern auch die Hausfrauen- oder -männer, die zu Hause bei den Kindern bleiben. Ich finde es nämlich besonders wichtig, dass die Mutter oder der Vater die ersten drei Jahre die Bezugsperson zu ihrem Kind sein sollten – dies ist auch ganz klar mit Studien erwiesen.
Dann könnten Sie sich sicherlich auch eine Art Mutterschaftsurlaub für diese Zeit vorstellen? Da hätten viele Firmen aber keine Freude …
Wenn eine Mitarbeiterin drei Jahre nicht arbeitet, ist das für Unternehmen natürlich fast schon «Horror» – gerade bei kleineren. Dann bräuchte es ja Ersatz, der nach dieser Zeit dann auch wieder gehen müsste usw. Es ist keinesfalls einfach.
Wie gehen Sie mit Schwangerschaften in Ihrem Unternehmen um?
Wir hatten gerade diesen Fall, der glücklicherweise so gelöst werden konnte, dass die Mitarbeiterin grossteils von zu Hause arbeiten kann. Dass dies nicht in jeder Branche möglich ist, ist natürlich klar. Ein Arbeitgeber sollte hierbei jedoch eine gewisse Flexibilität an den Tag legen. Und dabei auch den Blick auf Teilzeitmodelle wagen, die meiner Meinung nach absolut zukunftsträchtig sind.
Wie geht es mit den «gleich langen Spiessen» weiter?
Das Thema ist für die Wirtschaftskammer eigentlich abgeschlossen und die Untergerechtigkeit getilgt: Die Schweizer «Gewerbler» wurden den unseren gleichgestellt. Wenn jetzt jemand am Zug ist, dann die Eidgenossen. Sollten die Spiesse nun noch gekürzt werden, sind die Liechtensteiner die letzten, die dazu «Nein» sagen würden. Denn keine Regulierungen wäre uns immer noch das liebste.
Zum Schluss: Warum sind gerade Sie die beste Wahl für das Präsidentenamt der Wirtschaftskammer?
Diese Frage müssten Sie grundsätzlich den Verantwortlichen der Wirtschaftskammer stellen. Da ich, wie Sie eingangs erwähnten, sozusagen ein «Eigengewächs» der Wirtschaftskammer bin, da ich viele Jahre im Autogewerbeverband und im Verbandsvorstand tätig war, hatte ich vielleicht einen Vorteil gegenüber Aussenstehenden. Ich werde natürlich nach bestem Wissen und Gewissen und dem bestmöglichen Einsatz versuchen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Für mich ist der Vertrauensbeweis der zuständigen Organe der Wirtschaftskammer eine grosse Ehre und ich werde diese herausfordernde Aufgabe mit dem nötigen Respekt angehen.